EUROPA

The world is going crazy: but we are crazy too! [German version]

Warum wir gegen den G20 Gipfel in Hamburg protestieren werden: Zur Analyse und den Herausforderungen einer mulitpolaren und neo-autoritären Welt. Von Europa zu einer globalen Bewegung.

The world is going crazy: Eine mulitpolare und neo-autoritäre Welt

In Italien sind die G7-Treffen gerade erst vorbei. Weder beim letzten G7-Treffen zur Umweltpolitik in Bologna, beim Finanztreffen in Bari, dem Außenministertreffen in Lucca noch vom Gipfel in Taormina kann man von massenhaften Demonstrationen sprechen. Die Mobilisierung zum 60. Geburtstag der EU, der im letzten März in Rom zelebriert wurde, war ebenfalls schwach.

Zu allererst ist dies der Schwäche der italienischen Bewegungsorganisationen zuzurechnen, die fragmentiert, gespalten und müde sind, sich in Wiederholungen alter Schemata verfangen haben, die zu nichts führen.

Aber vielleicht sollten wir auch fragen: Ist der G7 der gleiche geblieben, gegen den wir 2001 in Genua protestierten? Sind die Mitgliedsstaaten des G7 – Italien, Kanada, Deutschland, Frankreich, Japan, USA und Großbritannien – noch immer die Führenden der Welt? Schon 2014 war Italien auf Basis des Bruttoinlandproduktes im Verhältnis zur Kaufkraft nicht mehr auf der Liste der reichsten zehn Länder der Welt. China hatte die USA überholt und Indien Deutschland. China und Indien wurden zusammen mit Brasilien und Russland zu »reichen Ländern voller armer Menschen«.

Während die Finanzmacht noch immer in angelsächsischen Händen liegt, zwischen Wall Street und der City of London – mit den Versuchen Chinas im Nacken, aufzuholen – übersteigen die Börsenmarktgewinne die Zahlen von 2007, vor der Krise. So wird der G7 das Forum einer westlichen Welt in der Krise, die sich von einer ökonomischen zu einer politischen und auch kulturellen Krise hinschleppt. In jedem Fall ist die Situation der aktuell »Größten der Welt«, wenn wir auf die G20 schauen, auch nicht viel besser. Im Nachgang der Finanzkrise wird die kapitalistische Entwicklung entlang der Verflechtung von Neo-Autoritarismus und Neoliberalismus redefiniert – mit der Türkei als vielleicht sinnbildlichstem Beispiel. Aus dieser Perspektive sieht die Welt von 2017 jener vor dem ersten Weltkrieg sehr ähnlich: Große Mächte in der Krise, das Wiederaufleben des Nationalismus, irrationale Begeisterung und nihilistisches Heldentum. Über die ökonomische und steuerliche Finanzkrise hinaus, ist es die politische und demokratische Krise, die keine Lösung zu finden scheint und sich immer stärker auf die Nation und die Sicherheit gegen den Terror beruft.

But we are crazy too! Radikale Demokratie gegen neuen Autoritarismus

Seattle 1999: Die WTO-Delegation wird nie das Kongressgebäude erreichen, die Seattle-Runde wird nie eröffnet, sie werden sich in Doha treffen müssen. Aber selbst die Doha-Verhandlungen werden nicht so enden wie von ihnen gewünscht, weil die Opposition aus indischen, latein-amerikanischen, indigenen und urbanen sozialen Bewegungen zu stark sein wird: Keine Regierung wird die Verantwortung übernehmen, den Vertrag zum freien weltweiten Handel zu unterzeichnen. Den neoliberalen Traum vom Handel wird nie geben. Genauso wie die Unterzeichnung des Abkommens zur Freihandelszone der Amerikaner, der ALCA/FTAA, aufgrund der Opposition der Latein-Amerikanischen Regierungen nie unterzeichnet werden wird.

Zur gleichen Zeit, nach 9/11, hatten bereits die Kriege zum »Export der Demokratie« begonnen – aber die unglaublichen Anti-Kriegs-Bewegungen zerstörten jede Idee einer demokratischen Repräsentation dieser Kriege, wenngleich sie es nicht zu stoppen vermochten. Dann die studentischen Bewegungen gegen die neoliberalen Reformen der Universitäten, der Arabische Frühling, die Bewegung der Plätze, die Anti-Austeritätsbewegungen, Kämpfe für Gemeingüter, für Bewegungsfreiheit und gegen die Restriktion der Migration und zu guter Letzt die feministische Welle, die von Argentinien kommend »Ni Ona Menos« (zu deutsch: Nicht Eine Weniger) schreiend die Welt ergriff.

Die Widerstandsbewegungen in der Welt haben nie geendet. Sie kommen empor und verebben wieder, aber sie kommen zurück – wieder und wieder. Wir kommen mit einer klaren Botschaft nach Hamburg: Heute gibt es keinen Unterschied zwischen Neoliberalismus und Neo-Autoritarismus. Europas neoliberale Konservative sind – gut repräsentiert durch Angela Merkel – die ersten Verbündeten der neuen autoritären und reaktionären Regierungen, die wiederum gut repräsentiert werden von Erdogan. Ein Symbol dieser Synergie ist ihr Anti-Migrations-Abkommen, das Internierungslager an den Grenzen der EU etabliert hat.

Denen, die glauben, es gäbe heute keine Hoffnung, keine Zukunft, die zu gestalten wäre und deren Blicke rückwärtsgewandt sind, sagen wir: Schaut jenseits der westlichen Welt. Dorthin, wo alles brennt, wo Daesh und IS foltern, plündern und töten. Dorthin wo große Mächte Abkommen schließen, die Menschen sterben lassen – und wo zugleich die interessanteste Erfahrung radikaler Demokratie unserer Zeit gedeiht: Nach Rojava, zur Föderation Nord Syriens, die auf demokratischem Konföderalismus, der Revolution der Frauen und kooperativen Bewegung fußt. Oder nach Mexiko, wo eine indigene Frau Präsidentschaftskandidatin ist, die in einer kapitalistischen, weißen, männlichen politischen Sphäre Widerstände sichtbar macht, die in den urbanen, ebenso wie in den ländlichen Gegenden existieren.

Ändern wir die Perspektive: Von hier aus betrachtet ist eine weltweite Bewegung bereits da, eingebettet in die Gesellschaft, mit der lokalen Sprache auf den Lippen, feministisch, indigen, die neue autonome Institutionen schafft, um kollektive Entscheidungen von unten zu organisieren und eine Ökonomie, die bei den Arbeiter*innen beginnt.

For an embedded global movement: Wir müssen von Europa aus beginnen!

Europa ist unser erster globaler Rahmen, unser erster Raum für transnationale Aktionen, auch wenn er nicht der einzige ist. Uns ist bewusst, dass die Europäischen Bewegungen im Juli 2015 abgeblockt wurden. Die Unfähigkeit, eine gemeinsame Europäische Kraft gegen die Politik der Troika zu formieren und den Konflikt, wie die Solidarität auszuweiten, hat zur Isolation der griechischen Bewegung geführt. Aber auch wenn Europa heute vorrangig das Narrativ des Rassismus anhaftet, sind progressive sozialistische Positionen entstanden, die durch Mélenchon in Frankreich, Corbyn in England, Podemos in Spanien und in den vielen rebellischen Städten den Höhepunkt erreichen. Aber das wird nicht ausreichen, wenn wir nicht den Aufbau europäischer Bewegungen wiederaufnehmen. Eine Bewegung, die in der Gesellschaft, in den Städten, an den Arbeitsplätzen verwurzelt ist; eine Bewegung, die lokal verankert ist, aber mit einer europäischen und globalen Perspektive, den Widerspruch zwischen einem schwachen kosmopolitischen Europäismus und einem Anti-Europäismus den Nationalstaat zu überkommen in der Lage ist.

Diese Bewegung sollte unseres Erachtens von vier essentiellen Punkten ausgehen, um die herum wir unsere Kämpfe artikulieren sollten: Beginnend im Europäischen Raum, aber mit einer globalen Perspektive:

  1. Bewegungsfreiheit 
    Die Freiheit, zu bleiben oder zu gehen wohin man will, sollte im Zentrum von jedem Internationalismus, radikalen Europäismus oder jeder transnationaler Bewegung stehen.

  2. Ein Kampfprogramm 
    Wir müssen das »Sozialdumping« im globalen Maßstab stoppen, das seit Dekaden voranschreitet und sich durch Symptome wie Niedriglöhne, weniger Rechte und mehr Prekarität äußert. Aus diesem Grund müssen wir die internationalistische Inspirationsquelle der Arbeiter*innenbewegung wiederentdecken.
    Grundeinkommen, europäischer Mindestlohn und freie Aufenthaltsgenehmigungen können Richtlinien sein, entlang der Kämpfe, die bereits die Europäische Konstellation von Prekarität und Migration durchziehen und verbinden, um schließlich zusammenlaufen zu können. Richtlinien, die in der Lage sind, eine Opposition zur sozialen Segmentierung in Europa zu bilden, statt diese zu vergrößern.

  3. Föderalismus und das Städtische 
    Wir müssen die direkte demokratische Macht zurückerobern: Dies kann, wie wir von den spanischen »Rebel Cities« gelernt haben, nur von den urbanen Räumen aus geschehen, in dem wir eine neue Europäische Landkarte zeichnen, die jenseits nationalstaatlicher Grenzen und gegen jede Nostalgie für den Nationalstaat liegt. Nachbarschaftsversammlungen, Regulationen für den gemeinsamen Nutzen der Gemeingüter und die Kontrolle der sozialen Dienste von unten durch die Bürger*innen etablieren, Räume für eine neue, kooperative, soziale und Arbeiter*innen-kontrollierte Ökonomie schaffen.

  4. Streiks und neue transnationale Aktionen 
    Frauen- und Migrant*innenstreiks zeigen, wie sozial verankerte Kämpfe über nationalstaatliche Grenzen hinausgehen können und müssen. Diese Streiks – die Grenzen zwischen sozialen, ökonomischen und politischen, zwischen »zivilen« und »sozialen« Rechten aufbrechen – zeigen, dass transnationale Mobilisierung die reine Anrufung einer behaupteten global geteilten Position überschreiten können: Sie öffnen den Möglichkeitsraum, eine Europäische Bewegung als eine Artikulation heterogener Kämpfe zu denken, die konkret und lokal verankert sind, aber zugleich in der Lage sind, sich auf globaler Ebene zu verbinden und zu stärken.

Von diesen vier programmatischen Punkten eines kämpferischen Programms ausgehend, welches den Europäischen Raum als ersten, aber nicht einzigen globalen Raum betrachtet, in welchem zu handeln ist, kommen wir nach Hamburg: Den Spuren, die uns erneut vom Süden nach Norden führen folgend, um neue Karten des Widerstands und der Freiheit zu zeichnen.

 

Translated by IL